Mit einem Knopfdruck verriegelte Lara die Türen ihres Wagens, den sie gerade auf der Einfahrt geparkt hatte, und suchte den Schlüssel für die Küchentür aus ihrem Bund heraus. „Endlich Feierabend“, schnaufte sie dabei leise.
Was sie in der Küche sofort entdeckte, war ein handgeschriebener Zettel, den ihre Mutter hingelegt hatte: Hallo Lara! Wir sind alle zu den Wolbecks (Clara hat Geburtstag). Runder Geburtstag, könnte spät werden. Essen im Kühlschrank (Knödel und Fleischwurst). Bleib anständig! ;) Mama.
Lara legte den Zettel zurück, für einen kurzen Moment spielte sie mit dem Gedanken, einen Blick in den Kühlschrank zu werfen, doch schob sie diesen gleich darauf wieder beiseite. Mir ist schon wieder schlecht.
Seit sie von Noam getrennt war, hatte sie kaum noch Appetit. Sie wusste, dass sie das Essen vernachlässigte, aber das würde sich mit der Zeit legen, wie sie hoffte. Sie nahm aus dem Vorratsraum eine Flasche Limonade und begab sich nach oben in ihr Zimmer. Es war Wochenende, genügend Zeit also, um sich ihrem Computerspiel zu widmen und nach den ersten Matches mit ihrem Clan würde sie sicherlich auch bald Appetit bekommen.
Aus einer Runde wurden zwei, dann drei, und als es draußen längst dunkel war, saß sie mit dem Headset noch immer auf dem Stuhl und unterhielt sich in einer Spielpause mit ihren Freunden.
„Leute! Leute!“, erklang eine Stimme lauter als alle anderen. Es wurde still in der Lobby.
„Habt ihr das gehört? Von diesen Objekten, die überall eingeschlagen sind?“
Lara lachte laut auf, wie alle anderen im Chat auch. „Was denn für Objekte, Ray?“, fragte Lara. „Hat deine Mutter aus Frust über deine Faulheit wieder all deine Socken durchs Zimmer geworfen?“
„NEIN! Im ERNST!“, blaffte Ray. „Herrgott, ihr sitzt vor euren Rechnern! Seht im Internet nach!“
„Ach, du Scheiße ...“, gab eine andere Stimme nach einigen Sekunden von sich. „Der labert echt nicht rum!“
Lara schüttelte ungläubig den Kopf. „Ihr Spinner!“, sagte sie, während sie das Spielmenü minimierte und ihren Browser öffnete. Sie überflog die Nachrichten auf der Startseite. Fred hatte nicht übertrieben. „Oh, mein Gott!“, flüsterte sie ins Mikrofon und beugte sich näher zum Bildschirm, während sie wie wild Links anklickte und die angezeigten Schlagzeilen überflog.
„Leute, ich bin offline!“, meldete sich der Erste ab, andere folgten.
Lara und Tom waren die letzten, die übrig blieben.
„Was zum Geier sollen das für Objekte sein?“ fragte Tom, mit dem Lara schon seit Jahren gemeinsam spielte.
„Ich weiß nicht. Irgendwo steht was von Kapseln“, erwiderte Lara. „Und dass die nach und nach auf der Erde landen … Moment, hier steht‘s: Angefangen in West-Russland, dann Finnland, Ägypten … Stunde um Stunde, Längengrad für Längengrad, schlagen die Kapseln auf.“ Sie klickte weiter. „Hier ist von irgendwelchen Wesen die Rede.“ Das unscharfe Bild einer schwarzen, bizarr geformten Gestalt baute sich auf dem Bildschirm auf. „Mein Gott!“, hauchte Lara. Sie kämpfte mit einem Würgereflex. „Tom!? Bist du noch da?“, sprach sie verängstigt ins Mikrofon.
Tom meldete sich mit fester und ruhiger Stimme. „Ja, bin ich. Ich hab auch einiges gefunden. Lara, hier steht, man soll zu Hause bleiben, Türen und Fenster verschließen, einen Keller oder einen Schutzraum aufsuchen und das Radio für weitere Infos angeschaltet lassen. Verfluchter Dreck, was geht denn hier ab? Und du bist auch noch alleine zu Hause, sagtest du vorhin, oder?“
„Ja. Das ... das bin ich“, stammelte Lara.
„Mach dir keinen Kopf, tu dasselbe, was ich gleich mache. Ihr habt doch auch einen Keller, oder? Geh dort hinunter! Bleib bloß drin, fahr ja nicht los, um deine Eltern zu suchen oder so was! Wenn ich das richtig gelesen habe, sollten auch bei uns in kürzester Zeit die ersten Objekte einschlagen. In einem Schutzraum dürfte ...“
„Tom?“, unterbrach ihn Lara, während sie auf ein weiteres Bild starrte. Es war auf einer Militärbasis entstanden, überall lagen tote Soldaten. Und inmitten eines Kraters hatte sich eine schwarze Kreatur erhoben.
„Ja?“
„Der Aufprall der Kapseln ist nicht das Schlimme.“ Im Video auf ihrem Bildschirm zoomte die Kamera das Wesen heran. Es schien nackt zu sein und völlig haarlos. „Tom“, sie schluckte, „das sind Aliens.“
Das Wesen drehte sich zur Kamera um. Seinem Gesicht fehlten Nase, Mund und Ohren. Nur große, silbern schimmernde Augen waren erkennbar.
„Scheiße!“ entfuhr es Lara. Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass das Alien sie ansah und ihr wurde heiß.
„Lara?“
Ihr wurde schlecht.
„Lara? Bist du noch da? Bleib ...“ Toms Stimme riss ab. Zugleich wurde Laras Bildschirm schwarz und das Licht ging aus.
Lara schleuderte das Headset vom Kopf, sprang vom Stuhl auf und stand regungslos da. Ihre Atmung war schnell, sie hechelte beinahe, und ihr Kopf war leer. Keller, Radio waren die einzigen zwei Wörter, die ihr nach einer zähen Sekunde in den Sinn kamen.
Als sie sich gerade auf den Weg nach unten machen wollte, warf sie einen flüchtigen Blick aus dem Fenster. Feuerschweife entflammten den Nachthimmel. Ihr Blick glitt auf die Terrasse des Nachbarn, Gerd stand draußen und betrachtete das Schauspiel am Himmel ebenfalls. Lara fiel eine Last vom Herzen, als ihr bewusst wurde, dass sie bei den Nachbarn Unterschlupf suchen konnte, sodass sie wenigstens nicht allein war.
Lara wollte gerade das Fenster öffnen, um Gerd zuzurufen. Doch plötzlich bemerkte sie, dass sich eine Gestalt in einem seltsam grauen Anzug Gerd von hinten näherte. Keinen Augenblick später stieß der grau Gekleidete seine Faust in Gerds Rücken, nein, die Faust durchbohrte Gerds Körper. Lara presste sich selbst die Hände vor den Mund. In ihren Augen sammelten sich Tränen. Der Graue zog seinen bluttriefenden Arm aus Gerds Körper zurück, worauf Laras Nachbar zu Boden stürzte. Der Graue schritt auf die offen stehende Terrassentür zu und trat ins Haus ein. An der Ecke des Gartens zeigte sich eine weitere Gestalt, die genauso aussah wie die, die gerade ins Haus gegangen war. Diese jedoch ging auf das Nachbargrundstück zu. Lara tauchte hinter dem Fenster ab.
Da sind noch andere ... Laras Gedanken überschlugen sich. Und davon auch noch mehrere, sie kommen ... sie kommen in die Häuser ...
Unten polterte es, als ob etwas Schweres zu Boden gefallen wäre.
Die Haustür!, durchzuckte es Laras Kopf. Verdammt, ich hab nicht abgeschlossen!
Lara blickte um sich, suchte nach einem sicheren Versteck. Ihr Blick heftete sich an den Bettkasten. Unter der Matratze lagerte so viel Ramsch aus Laras und Noams gemeinsamer Zeit, trotzdem war dort noch Platz genug, erinnerte sie sich.
Sie klappte den Lattenrost samt Matratze hoch, wobei ein Knarren entstand. Lara hörte Schritte und lauschte. Wer immer dort draußen war, er kam eilig die Treppen hoch.
Lara griff nach ihrem Mobiltelefon, legte sich rasch in den Kasten und schloss den Deckel. Sie war wie versteinert, sie hörte, wie jemand oder etwas ihre Zimmertür öffnete. Die Schritte des Fremden waren schwer und ließen den alten Dielenboden beben. Lara hatte verkrampft ihre Lippen aufeinander gepresst und hielt immer wieder die Luft an, weil sie ihren Atem für ungemein laut hielt. Ihre Schranktür wurde geöffnet und die Kleider wurden unter einem Scharren der Bügel hin und her geschoben. Lara war für einen Augenblick froh, nicht den Schrank als Versteck gewählt zu haben. Ihrem Bett sah man zum Glück nicht an, dass sich darunter ein Bettkasten befand, der als Versteck dienen konnte.
Der Fremde durchstreifte weiterhin das Zimmer, anscheinend war er sehr gründlich bei seiner Suche. Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, verloren sich seine Schritte wieder auf dem Flur und allmählich verschwanden sie.
Lara traute sich trotzdem nicht mehr aus ihrem Versteck. Mit dem Display ihres Handys erhellte sie ihr Versteck, zu mehr war es nicht nutze, denn Netz hatte sie keines. Es war eng, stickig und heiß, trotzdem fröstelte sie. Neben alten DVDs und Puzzle-Kartons und anderem gesammelten Kleinzeugs lagerte auch eine alte Decke samt Kissen. Sie nutzte beides, um es sich etwas bequemer zu machen. Allein beim Gedanken daran, ihr Versteck zu verlassen, begann ihr Herz schmerzhaft zu rasen, deshalb entschied sie sich, zumindest vorerst hier zu verweilen. Nachdem sie sich die Decke übergestreift hatte, bemerkte sie, dass sie auf etwas Hartem lag, sie zog es unter sich weg. Es war ihr Schmuckkasten. Sie öffnete ihn und entnahm von den vielen Ringen den, der ihr am meisten bedeutete, und nahm ihn fest in die Hand. Sie schloss die Augen und seufzte. Noam ... Sein Gesicht blitzte in ihrer Erinnerung auf, dann presste sie ihre Lider fester zusammen, Tränen drangen zwischen ihren Wimpern hervor. Sie zwang sich, an nichts zu denken, bis sie letztendlich in einen unruhigen Schlaf fiel.
Einige Stunden später wurde sie aus dem Schlaf gerissen, dröhnende Schritte waren der Auslöser. Diesmal musste es mehr als nur eine Person sein. Ihr Kopf brannte plötzlich, flackerndes Licht blendete ihre Augen scheinbar von innen heraus. Als der Schmerz für einen Moment nachließ, bemerkte sie, dass die Schritte in ihrem Zimmer angelangt waren. In dem Moment, als ein weiterer Lichtblitz ihren Kopf durchzog, wurde das Dach ihres Verstecks aufgerissen. Lara stieß einen heißeren Schrei aus, als sie die drei Gestalten an ihrem Bettende stehen sah. Der in der Mitte war eines dieser nackten, ledrigen, schwarzen Wesen und die beiden zu seinen Flanken waren diese grauen Typen.
„Da haben wir sie doch!“, zischte es schmerzhaft durch Laras Kopf, während das nackte Wesen seinen Kopf schräg legte.
„Geht WEG!“, kreischte Lara.
„Jemand hat sich sehr unbeliebt bei uns gemacht, rate mal, wer es ausbaden darf!“ Der brennenden Stimme in Laras Kopf folgte ein Lachen.
„NEIN!“, schrie Lara noch. Dann wurde alles hell um sie herum und kurz darauf alles tiefschwarz.